Vom Lärm der Welt und der Melodie der Stille

Michael Ladwein

Die größte Offenbarung ist die Stille.

Laotse

Beethoven, ganz, ganz tief in dich hinein lauschtest du, Tauber, vernahmst so die Geräusche der ganzen Welt: Das Konzert des Sturmes, das Konzert der Stille, das Konzert der Klagen, das Konzert des Kicherns! Und du gabst es einfach wieder, wie Bergwände das Echo – – -. So wurde es die Musik der Welt!

Peter Altenberg

Eigentlich hat Joseph Roth schon alles gesagt. In seiner 1940 postum erschienenen, doch Jahr­zehnte früher handelnden Erzählung „Der Leviathan“ schildert der österreichische Romancier in bemerkenswert hellsichtiger Weise den Beginn einer neuen Epoche am Beispiel des Einbruchs der modern-merkantilen Zeit in ein kleines Landstädtchen irgendwo in Ostmitteleuropa. Ein älterer Herr verkauft seit vielen Jahren, niemand weiß wie lange schon, echte Korallenketten an die Bäu­erinnen des ganzen weiteren Umkreises. Die Korallen bezieht er gezielt aus verschiedenen Städten Europas, von Amsterdam bis Odessa, und läßt sie in seinem Hause von jungen Frauen zu Ketten auffädeln. „Bei dieser Arbeit sangen die Mädchen im Chor. Und im Sommer, an heißen, blauen und sonnigen Tagen, war im Hof der lange Tisch aufgestellt, an dem die fädelnden Frauen saßen, und ihren sommerlichen Gesang hörte man im ganzen Städtchen… Manchmal mischten sich die Bäuerinnen, während sie nach passenden Korallen suchten, in den Gesang der Fädlerinnen; alle sangen sie zusammen…“ Die Korallen aber, davon war der alte Händler tief überzeugt, waren auch als Ketten immer noch etwas Lebendiges. Das wußte er aus langer Erfahrung und sah es stets von neuem: wenn sie bei gesunden Frauen aufblühten in intensiverem Rot, bei kränklichen aber verblaßten.

Doch eines Tages eröffnete ein von weither Zugereister in dem Städtchen einen Laden, in welchem er leuchtend rote Korallen viel billiger verkaufte, und außerdem – welche Sensation und Attraktion! – lief dort den ganzen Tag ein Grammophon. Die „Korallen“ waren künstlich, aus gefärbtem Zelluloid, und die Bauern konnten und wollten nicht unterscheiden, freuten sich an dem neuen, billigen, glänz­en­den Schmuck und der modernen mechanischen Musikberieselung. Der (auch moralische) Untergang des alten Korallenhändlers war besiegelt, der Gesang der Fädlerinnen und Bäuerinnen verstummte. Talmi, Täuschung und Grammophon­geplärr hatten gesiegt.